Ich habe mich im letzten Jahr intensiv mit Automatisierung in der Unternehmenskommunikation auseinandergesetzt. Diverse Umfragen, Blog-Artikel oder News-Meldungen zum Thema zeigen: Automatisierung und die damit zusammenhängenden Technologiefelder künstliche Intelligenz und Big Data polarisieren. Kann Automatisierung tatsächlich Aufgaben in Unternehmenskommunikation und PR übernehmen, die doch so stark von Sprache, Geschichten und auch Emotionen geprägt ist? Ist es überhaupt sinnvoll, Automatisierung einzusetzen, selbst wenn es möglich wäre? Schliesslich ist in der Kommunikation Authentizität sehr wichtig. Und wenn Automatisierung hilft und sinnvoll ist, ist es auch ethisch vertretbar? Viele Fragen und viel Stoff für Diskussionen.
Was PR-Experten über Automatisierung denken
Für die Unternehmenskommunikation haben Digitalisierung, Big Data, KI und Automatisierung das Potential, das Berufsbild, die Arbeitsprozesse und die Branche nachhaltig und tiefgreifend zu verändern. Dieser Meinung vertreten beispielsweise Joachim Klewes, Dirk Popp und Manuela Rost-Hein in ihrem Buch «Out-thinking Organizational Communications». Sie argumentieren, dass mit Hilfe von Algorithmen beispielsweise das Kommunikationsverhalten der Stakeholder analysiert und darauf basierend eine individuelle und personalisierte Kommunikation umgesetzt werden kann – automatisiert und ohne menschliche Interventionen.
Laut einer Schätzung von Wayne Aspland in seinem beeindruckenden Papier «The robots are coming!» können durch Automatisierung im Bereich der Datensammlung und Datenevaluation mit heute vorhandener Technologie bereits bis zu 69 Prozent der Arbeitszeit eingespart werden – in der Stakeholder-Kommunikation bis zu 20 Prozent. Aspland fasst zusammen, dass es heute bereits viele KI-basierte Tools gibt, welche Automatisierung in der Unternehmenskommunikation ermöglichen. Den Vorteil davon sieht er in drei Aspekten: mehr Zeit für die Mitarbeitenden, ein tiefergehendes Verständnis über die Zielgruppen und insgesamt eine höhere Kapazität der Kommunikationsabteilung.
Sind Automatisierung und PR kompatibel?
Wie stark Automatisierung die Unternehmenskommunikation tatsächlich verändert, ist aber weithin umstritten. Viele PR-Experten äussern Unsicherheiten, Vorbehalte oder Ängste, was Automation und KI angeht. Galloway und Swiatek (2018) sprechen von «AI anxiety» der PR-Fachleute und sehen die Ursache dieses Phänomens «based on misunderstanding and confusion about what AI is and can ever be» (Johnson et al., 2017).
In einem Diskussionspapier stellt der grösste europäische PR-Mitgliederverband CIPR fest, dass im Bereich Analytics, Datenmanagement und Monitoring künftig viele Prozesse und Tasks teil- oder vollautomatisiert werden können, aber «regardless of the tasks and skills that can be automated or benefit from AI, human intervention in editing, sensitivity, emotional intelligence, applying good judgement and ethics will always be needed» (Valin, 2018).
Andere PR-Experten widersprechen dem klar. Sie gehen davon aus, dass nur die kreativsten Köpfe letztlich nicht von der Automatisierung betroffen sind, sprich: ein Grossteil der Aufgaben werden künftig von Robotern übernommen (Phillips, 2015).
«PR is about establishing trust.»
Damit könnte die Entwicklung in eine ähnliche Richtung laufen wie beispielsweise im Marketing, wo Automation und KI bereits verbreiteter eingesetzt werden und schnell voranschreiten. In einer Umfrage aus dem Jahr 2018 mit Marketing-Experten aus der DACH-Region gehen 55 Prozent davon aus, dass KI in 3 bis 5 Jahren über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entscheidet (Bünte, 2018). In der gleichen Studie schätzen 46 Prozent der Fachleute ein, dass KI das Marketing mehr verändern wird als Social Media.
Doch zwischen Automatisierung und KI in Marketing und Unternehmenskommunikation sehen manche Experten entscheidende Unterschiede. Marketing-Kommunikation will die Botschaft an die Zielgruppen bringen. Aber PR «is about establishing trust» und könne deshalb nicht vollständig automatisiert werden, stellt etwa die amerikanische PR-Expertin Helms fest. Aspland hingegen sieht das anders. Er plädiert für einen offeneren Umgang mit Automatisierung in der Unternehmenskommunikation:
«…we need to embrace automation. We need to free ourselves from routine tasks and take on more of the work that will meet the radically changing needs of our organisations. And we Need to Start this process today.»
Wenig Automatisierung in der Praxis
Das Potential der Automatisierung sehen einige Kommunikations-Experten insbesondere in der Effizienzsteigerung. Durch die Automatisierung von repetitiven Aufgaben und Prozessen bleibt mehr Zeit für komplexe Tätigkeiten, in denen Fantasie und eine schnelle Reaktion gefordert sind. Das schreiben etwa Heather Yaxley und Alison Theaker in ihrem Buch «The Public Relations Strategic Toolkit» von 2018.
In der Literatur und in Fachartikeln sind viele Anwendungsmöglichkeiten beschrieben. Doch in der Praxis der Unternehmenskommunikation werden Automatisierungen zurückhaltend eingesetzt. Zumindest legen Studien diesen Eindruck nahe. Eine Umfrage unter 2’710 Kommunikations-Fachleuten aus 43 europäischen Ländern zeigt, dass die Wichtigkeit und Bedeutung von Big Data und Automatisierung unter den Fachleuten als hoch eingeschätzt wird, dass jedoch die Kompetenzen in diesem Bereich oft fehlen und die Möglichkeiten nur begrenzt genutzt werden (Zerfass et al., 2016).
In der gleichen Umfrage des European Communication Monitor glauben über 70 Prozent der befragen Kommunikations-Fachleute, dass Big Data ihren Beruf verändern wird. Jedoch nur 20 Prozent der Organisationen haben Big-Data-Aktivitäten in ihrem Unternehmen bisher implementiert (Zerfass et al., 2016). Die gleiche Studie zeigt beim Thema Automatisierung ein ähnliches Bild:
Viele Kommunikationsprofis nehmen Automatisierung als ein bedeutendes Thema wahr, jedoch nur kleiner Teil von ihnen hat tatsächlich solche Technologien im Einsatz.
Das Phänomen, dass viele Berufsfachleute zwar von der Wichtigkeit überzeugt sind, jedoch in der eigenen Praxis die neuen Möglichkeiten nicht nutzen, beschränkt sich nicht nur auf den Bereich der Unternehmenskommunikation. Auch im Marketing scheinen diese Diskrepanzen noch vorhanden zu sein. Eine Umfrage zur KI in der DACH-Region zeigt, dass 80 Prozent der Marketing-Experten finden, dassmKI wichtig ist – jedoch nur 26.5 Prozent nutzen KI in ihrer Marketing-Abteilung (Bünte, 2018, p. 8).
Schweizer Kommunikationsabteilungen scheinen gemäss einer Studie ebenfalls noch wenig automatisiert zu sein – in der Befragung geben nur 3 Prozent an, dass sie KI einsetzen; 6 Prozent nutzen Robotik oder Prozessautomationen; 11 Prozent gaben an, Content automatisiert zu erstellen (Niederhäuser et al., 2018).
Begriffsdefinition Unternehmenskommunikation: Beim Begriff Unternehmenskommunikation orientiert sich der Autor an der Begriffserläuterung von Mast (2016). Diese beinhaltet, dass Unternehmenskommunikation (engl. Corporate Communications) «das Management von Kommunikationsprozessen umfasst, die zwischen Unternehmen und ihren internen bzw. externen Umwelten ablaufen» mit dem Ziel, Legitimation zu erlangen, Vertrauen zu bilden und eine gute Reputation für das Unternehmen herzustellen. Unter dem Begriff Unternehmenskommunikation versteht der Autor somit auch Public Relations, welche sich aus sozialwirtschaftlicher Perspektive «auf die Pflege und Optimierung der Kommunikationsbeziehungen zu den wichtigsten Stakeholdergruppen» konzentriert (Mast, 2016)
Quellen
- Bünte, C. (2018). Künstliche Intelligenz – die Zukunft des Marketing. Wiesbaden: Springer Gabler
- Johnson, D. G., & Verdicchio, M. (2017). AI Anxiety. Journal of the Association for Information Science and Technology, 68(9), S. 2267 – 2270.
- Mast, C. (2016). Unternehmenskommunikation. Ein Leitfaden. 6. Auflage. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.
- Niederhäuser, M. & Rosenberger, N. (2018). Kommunikation in der digitalen Transformation. Working papers in Applied Linguistics 15. Winterthur: ZHAW, Departement Angewandte Linguistik
- Zerfass, A., Verhoeven, P., Moreno, A., Tench, R. & Verčič, D. (2016). European Communication Monitor 2016: EACD/EUPRERA. Quadriga Media Berlin